Sigrun Mittl – Dipl.-Biol. – Holon-Dialoge.de – März 2022
Ein Essay im Werden
Sobald ich mehr Zeit und Raum habe, möchte ich meine Gedanken rund um das folgende Zitat von Herbert Witzenmann aus seinem 1982 erschienenen Werk „Verzweiflung und Zuversicht – Zur sozialen und kulturellen Lage der Zeit“ entwickeln. Leider haben seine Analyse und Diagnose nichts von ihrer Aktualität verloren; im Gegenteil scheinen sich die Auswirkungen einer menschenfeindlichen Technik- und Materialismusgläubigkeit immer deutlicher zu zeigen und die ganze Menschheit in den Abgrund zu stürzen. Ich lege den Vielen, die zu verzweifeln drohen, die Lektüre dieses Buches ans Herz und hoffe, dass sie daraus ebenso viel Mut schöpfen wie ich.
Herr Witzenmann schreibt auf so wunderbare Weise: „Künftige Historiker werden dem zwanzigsten Jahrhundert den Titel der Zerstörung Europas geben, welche von der Selbstzerstörung Mitteleuropas ausging. Europa, (…), hat sein geistiges Erbe für das Linsengericht des Materialismus preisgegeben. Es hat seinen schöpferischen Vorrang mit der politischen Bedeutungslosigkeit vertauscht. (…) Für die Probleme, vor denen das neuzeitliche Individualbewußtsein steht, hat die mitteleuropäische Kulturleistung ehemals die großzügigsten Lösungsansätze entwickelt. Diese hätten nur ausgebaut werden müssen, um dem Recht auf Individualität die gültigste Formulierung und die freieste Ausbreitung zu verschaffen. Der Sinn der Kulturentwicklung als Selbstgestaltung der sich in deren Epochen wiederverkörpernden menschlichen Individualität (Lessing), die organische Bildsamkeit der Weltanschauungen und Weltgestalten und deren Aufblühen in der menschlichen Seele (Herder), die Gleichartigkeit der Erkenntniskräfte und der Naturkräfte (Goethe), die Freiheit als ästhetisches Gestaltungsprinzip des Sozialkunstwerkes (Schiller), der menschliche Geist nicht als Eindrucksempfänger, sondern als Ausdrucksschöpfer, das Ich als Tathandlung (Fichte), die Identität (der Gegenstrom der Kontraktion des Universellen und der Expansion des Individuellen im Zusammenhangsgewebe der Welt) als Weltprinzip (Schelling), die Welt, nicht als mechanistische Zusammensetzung, sondern als metamorphotische Bildung, Steigerung, Rückbildung und Neubildung ihres Sinngehaltes (Hegel) -: diese Urgedanken seiner klassischen und idealistischen Epoche (in denen die Aufgaben und die Rätsel unserer Zeit vorgedeutet sind) hat Mitteleuropa (…) verraten, (…). (1)
Demnächst mehr…
Literaturverzeichnis
1. Witzenmann, Herbert. Verzweiflung und Zuversicht – Zur sozialen und kulturellen Lage der Zeit. Dornach/Schweiz : Gideon Spicker Verlag, 1982 – 1. Auflage.